Schnittmuster des nahenden Herbstes.

Für die Meteorologen, also die Wissenschaftler – und Praktiker – der Wetterkunde, ist bereits seit dem 1. September Herbst. Für uns beginnt der Herbst erst am 23. September um 0.23 Uhr. Aber es besteht kein Zweifel: Der Herbst ist im Kommen. Einige Bäume in meinem Garten haben schon einen Teil ihres Laubs verloren. Abends um 20 Uhr ist es schon fast dunkel, und den Tag über steht die Sonne schon ein ganzes Stück niedriger als in den Sommermonaten. Ich merke das immer daran, dass die Sonnen ihr Licht auf die Innenseite der Räume wirft; im Sommer steht die Sonne so hoch, dass sie ihre Strahlen nicht durch den Raum lenken kann. Die meisten Früchte sind geerntet, nur die Quitten hängen noch einige Wochen an ihrem Baum, und ich freue mich jetzt schon auf den selbst gemachten Quitten-Gelee, eine echte Delikatesse.

Das Foto scheint mir eine Ahnung vom Herbst wieder zu geben. Ich habe es im Sommer an der Ostsee gekauft. Es passte gut zu der Stimmung: damals war an der Küste mehr Herbst als Sommer. Und am Abend – aber erst am Abend – warfen die leeren Strandkörbe lange Schatten auf den Strand bei untergehender Sonne. Die Strandkörbe sind leer, aber das waren sie auch im herbstlichen Sommer, wo sich nur wenige Leute in den Strandkorb setzten und noch viel weniger im Wasser der Ostsee badeten. So hatten wir im Sommer schon eine Ahnung vom Herbst, und jetzt im Herbst haben wir noch einen wunderbaren Nachschlag des Sommers.

Was soll man davon halten, dass die Jahreszeiten ihre Plätze ein wenig getauscht zu haben scheinen? Nichts Besonderes. Wenn wir aufmerksam den Lauf des Jahres beobachten würden, würden wir sehr schnell merken, dass die grenzenscharfe Trennung der Jahreszeiten eigentlich nie richtig funktioniert. Aber wir haben ein kurzes Gedächtnis; am Ende des Jahres erinnern wir uns kaum noch daran, dass der Lauf der Jahreszeiten so normal war wie eigentlich in jedem Jahr; wir sind nur vergesslich.

Im Herbst geht es vielen Leuten nicht gut; sie haben schwermütige Gedanken, viele neigen zu Depressionen, und tatsächlich hat ja der Herbst etwas von Untergang und Verfall an sich; der Herbst ist der Beginn der dunklen Jahreszeit, das umdüstert vielen die Psyche. Das kann man nur in den Griff kriegen, wenn man sich immer wieder klar macht, dass dem Herbst und dem Winter der Frühling und der Sommer folgen. Insofern ist der Herbst die Jahreszeit der Hoffnung: Wenn es auch jetzt immer noch nach unten und ins Dunkle geht, so wird unweigerlich das Licht sich verstärken und neue, frische Strahlen aussenden, wenn die dunkle Jahreszeit allmählich zu ende geht.

Deshalb ist auch das Bild, so meine ich, nicht ein Bild herbstlichen Untergangs, trotz der langen Schatten, sondern ein Bild der Hoffnung; denn auch im Herbst strahlt noch das Licht und wärmt uns den Rücken, nicht mehr so stark, aber irgendwie golden. Und es ist ja kein Zufall, dass man gern vom „goldenen Herbst“ oder auch vom „goldenen Oktober“ spricht. Der Herbst ist Erntezeit, die Keller werden wieder voll, der Reichtum der Natur kommt in unsere Häuser, und zu keiner anderen Jahreszeit ist das Laub so bunt und farbenfroh wie im Herbst.

Der Herbst ist eine beliebte Reisezeit; da ist die Sonne nicht mehr so heftig, und der Himmel ist nicht mehr dunkelblau, sondern eher pastellblau. Die Weinstöcke biegen sich schon unter den dichten Weintrauben, und die Menschen freuen sich angesichts der letzten Wärme, die uns bescheint. Da sitzt man gern noch ein wenig draußen und genießt die Welt.

Vielleicht ist der Herbst sogar der schönste Monat.

Ulrich Zurkuhlen (September 2005)