Der dunkle November

Mit einem Trauertag fing er schon an: Am 2. November feiern die katholischen Christi das Andenken an die Verstorbenen. Da geht man, meistens schon am Vorabend, zu den Friedhöfen, steckt Blumen auf, legt Kränze nieder und zündet Lichter an, die mitten in dem Dunkel der tage ein bisschen Licht bringen sollen. Manche Leute gehen nur einmal im Jahr zu den Gräbern ihrer Angehörigen und Freunde, anderen ist der Weg zum Friedhof immer ein Weg in die Nähe von Menschen, die der Tod weggenommen hat.
Mitte November ist der Volkstrauertag. Das Volk gedenkt an diesem Tag der Toten der Kriege, der Soldaten wie auch der Zivilisten. Das große Gräberfeld auf dem Zentralfriedhof in Münster, aber auch auf anderen Friedhöfen lässt erahnen, welche unsinnigen Opfer ein jeder Krieg gebracht hat. Am Volkstrauertag legen Delegationen der Politik Kränze an den Denkmälern für die Kriegstoten nieder, das sind die Toten besonders der beiden Weltkriege. Da denkt man auch wohl daran, dass unser Volk seit 1945 keinen Krieg erlebt hat; fast 60 Jahre ist es seit dem letzten Krieg her, und der größte Teil der Bevölkerung kennt Kriege nur vom Hörensagen und aus den Medien.
Das ist übrigens bei unseren Nachbarvölkern anders. Manchmal vergessen wir das, dass z.B. die Franzosen seit dem letzten Weltkrieg noch einen Krieg in Vietnam und einen sehr blutigen Krieg in Algerien geführt haben. Unsere englischen Freunde haben ebenfalls im fernen Osten gekämpft, aber auch auf den Falklandinseln und jetzt im Irak. Manche Völker beneiden uns um die sechzig Jahre relativen Friedens. Sicher, Angst vor Krieg haben wir auch mitgemacht, z.B. bei der Kuba-Krise, die die Welt an den Rand des Dritten Weltkriegs geführt hat. Auch die gefährliche Spannung zwischen Ost und West, der sogenannte Kalte Krieg, ist gerade von uns Deutschen sehr angstmachend erlebt worden: Einmarsch der Sowjettruppen in Ungarn, beim Prager Frühling, usw. Vergessen wir auch nicht den Bau der Berliner Mauer, bei dem sich Sowjets und Amerikaner Auge in Auge gegenüberstanden.
Der Toten Sonntag ist der evangelische Totengedenktag, also das Gegenstück zum Allerseelentag. Da gehen die evangelischen Christen zu den Gräbern.
Und schließlich gab es bis vor wenigen Jahren den Buß- und Bettag, der ein stiller Gedenktag war, nicht zuletzt als Impuls zum Nachdenken über eigene Schul und eigenes Versagen, aber auch zum Nachdenken über die kollektive Schuld der Menschheit, die sich im Einzelschicksal oft niederschlägt. Öffentliche Buße z.B. eines ganzen Volkes hat immer zur Kultur gehört; denn Einsicht in die eigenen Grenzen und in das eigene Versagen ist der Weg zur inneren Erneuerung, und die ist gerade in unserer Zeit besonders wichtig.

Wir haben kürzlich in unserer Gemeinde einen Jugendgottesdienst zum Thema „Der dunkle Monat November“ gehalten. Dabei haben wir ein großes schwarzes Tuch ausgebreitet und daruf brennende Tee-Lichter gestellt. Und jeder, der ein brennendes Licht auf das Tuch stellte, hat dabei eines lieben Toten gedacht. Anschließend haben wir eine „Schweigeminute“ gehalten; schon die Kinder kennen aus dem Fernsehen, etwa von Fußballspielen, solche Schweigeminuten als Zeichen des Gedenkens. So haben wir es gemacht., und manchem mag es dabei ganz seltsam zumute gewesen sein: Sind nicht wir alle sterblich? Aber wir glauben darin, dass vor der Folie der Trauer und der Vergänglichkeit Lichter stehen, die uns Zeichen der Hoffnung sind.

Ich fand das Bild zum Monat November in einem Schreibwarengeschäft; es erinnert mich an das dunkle schwarze Tuch und an die Lichter, die das Dunkel erträglicher machen. Ja, die kleinen Kugeln des Spinnennetzes mögen sogar ein Hinweis darauf sein, dass wir bald die gläsernen Kugeln an die Tannen hängen und daran denken, dass in Jesus Christus alles einen neuen, hellen Anfang gemacht hat.

Dann wird sogar der November ein bisschen erträglicher.

Ulrich Zurkuhlen (November 2004)