Portal der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in WESEL

Schon mehrmals habe ich an dieser Stelle in der Reihe der Kirchenportale einige Werke der Bildhauerin Hildegard Bienen vorgestellt; sie ist gestorben im Jahre 1990 in Marienthal bei Wesel, wo sie auch begraben ist. Bis zu ihrem Tod hat sie eine große Menge von hervorragenden künstlerischen Werken geschaffen. besonders Bronzeportale an ziemlich neuzeitlichen Kirchen, aber auch wunderbare farbige Fenster, Mir gefüllt besonders, dass sie z.B. biblische Geschichten in Bronze gearbeitet hat, und das in wunderbarer Weise. Ihre Werke sind nicht nur Darstellungen biblischer Geschichten, sondern auch Interpretationen. Wir werden das gleich an einem konkreten Beispiel erläutern. Wir haben schon mehrmals Werke aus der Kirche St. Paul in Bocholt gezeigt, auch ein Portal zum Friedhof in Marienthal. Es werden in den nächsten Monaten noch andere folgen.

Also das Kirchenportal aus St. Mariä Himmelfahrt in Wesel; es ist aus dem Jahr 1988 und hat das Thema „Der freudenreiche Rosenkranz“. Es gibt daneben auch ein Bronzeportal „Der schmerzhafte Rosenkranz“. Logischerweise bestehen die Bronzeportalen jeweils aus fünf plastischen Bildern, die jeweils die fünf Rosenkranz-„Gesätze“ illustrieren. Bei diesem, dem „freudenreichen“ Portal, sind es die biblischen Geschichten von der Verkündigung an Maria, des Besuches Marias bei Elisabeth, der Geburt des Kindes, die Darstellung des Kindes und des zwölfjährigen Jesus im Tempel, Letztere Geschichte handelt ja davon, dass die Eltern Jesus nach einer Pilgerfahrt in Jerusalem suchten und ihn nach drei Tagen im Tempel wieder fanden. Das Bronzerelief zeigt Jesus, wie er mitten unter den Gelehrten sitzt, die ihm offenbar interessiert zuhören. Und rechts steht jemand, vermutlich Josef, der derjenige ist, der das Kind wieder findet. Zwei außerordentlich wichtige Aussage des jungen Jesus finde ich sensationell: „ Wusstet ihr denn nicht, das ich da sein muss, wo auch mein Vater ist?“ Weiß eralso mit zwölf Jahren, dass er der Sohn Gottes ist und dass man diesen Vater im Tempel finden und besuchen kann? Viele Gelehrte haben dieses Wort vielfältig gedeutet. Jedenfalls: Er weiß offensichtlich von seinem göttlichen Ursprung. Das ist gewaltig, wenn man bedenkt, dass bei einem andren Evangelium erst bei der Taufe im Jordan viele Jahre später seine göttliche Herkunft von einer himmlischen Stimme ausgesprochen wird. Seit wann wusste Jesus von seiner gottgewollten Identität? Schon als Pubertierender? Dabei muss man wohl bedenken, dass in Israel ein Mensch mit zwölf Jahren als ein Erwachsener galt.

Und die andere Aussage: Der junge Jesus ist theologisch offensichtlich seinen jüdischen Diskussions-Partnern überlegen. Jesus weiß offenbar vom jüdischen Glauben und vom jüdischen Gesetz mehr als die vermeintlichen Gelehrten, die sich von dem Jungen belehren lassen.

Und das zeigt unser Bild auf dem Portal: Jesus sitzt in der Mitte, nicht am Rand. Und rechts steht der/die Suchende, der/die aber bei Jesus offenbar keine Beachtung findet.

Ich frage mich seit Jahren, was Jesus eigentlich zwischen dem zwölften Lebensjahr und seiner Glaubensverkündigung mit etwa dreißig Jahren getan hat. Dieser kluge, religiöse Junge wird doch nicht fast zwanzig Jahre in der Holzwerkstatt seines Vaters Sägespäne aufgefegt haben. War er vielleicht oft mit seinen Kumpels in Sephoriss, einer nahe gelegenen Stadt mit starker griechischer, also auch philosophischer Prägung? Oder war es vielleicht sogar so — wie in dem herrlichen Buch „Die Bibel nach Biff“ erzählt wird, — dass er mit seinem Freund Levi in den fernen Osten reiste, sich dort mit den Gelehrten der dortigen Religionen (Buddhismus, Hinduismus, Konfutianismus usw.) austauschte und nach 17 Jahren mit seinem Freund über die Seidenstraße nach Nazareth zurückkehrte?