Portalfiguren der Lambertikirche in Münster

Seit fast zwei Jahren zeigen wir jeden Monat an dieser Stelle ein besonders schönes Kirchenportal; meistens sind es die gewaltigen bildreichen Portale selbst, meistens aus Bronze und oft schon mit einem beachtlichen Herstellungs-Alter. Und es sind gewöhnlich biblische Motive, die solche alten Kirchenportale zieren.

Vielleicht haben wir dabei übersehen, dass natürlich auch die steinernen Einfassungen der Portale gewaltige, in der Regel auch biblische Kunstwerke sind. Sie denken dabei z.B. an die sog. Tympana, die im oberen Teil vieler mittelalterlicher Portal-Einfassungen zu sehen sind, und an vielen Portalen aus der romanischen und gotischen Zeit stellen diese Tympana das Endgericht dar, in der Mitte Jesus, links die Erlösten, rechts die Verdammten. Es sind manchmal seltsame, bisweilen auch sehr naive Deutungen biblischer Geschichten, die da ins interpretierende Bild bzw. Relief gebracht wurden.

Aber heute zeige ich Ihnen zwei Figuren aus einer Portal-Einfassung, die eigentlich allen biblischen Deutungsversuchen widersprechen – und außerdem noch nicht sehr alt sind. Das Westportal an der wunderschönen Zentralkirche St. Lamberti in Münster wird von Darstellungen der Evangelisten eingefasst: rechts der Evangelist Lukas, den Sie an dem winzig kleinen Lukas-Symbol, dem Stier, erkennen – wäre es Markus, stände da ein kleiner Löwe. Und links steht Johannes, erkennbar an dem Johannnes-Symbol, dem Adler; und natürlich ist es auch wieder der ziemlich jugendliche Jesus-Jünger, als der er gewöhnlich dargestellt wird.

Aber jetzt sehen Sie sich den rechten Evangelisten an. Ist das überhaupt der Evangelist, ist das nicht vielmehr Goethe, der Dichterfürst, der nachdenklich seinen Finger an die Lippen legt?

Klar ist er das, und das Pendant dazu auf der anderen Seite ist nicht so sehr Johannes, sondern Schiller. Als mir jemand zum ersten Mal diese Gleichsetzung von Evangelisten und Dichtern erklärt hat, war ich total begeistert. Und es tut mir so leid, dass etliche Stadtführer das gar nicht wissen. Manchmal, wenn wieder eine Touristen-Gruppe vor der Lamberti-Kirche steht, weise ich diskret darauf hin.

Die Portalfiguren sind noch ziemlich neu, sie stammen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Und wieso? Weil der bekannte Pfarrer Hermann Kappen ein ganz besonderer Freund der „Dichterfürsten“ war. Ich finde, dass das eine tolle Geschichte ist, auch wenn ich es ganz gut finde, wenn heute die Pfarrer nicht ihre Idole in Stein gehauen an ihrer Kirche anbringen.

Apropos Lamberti-Kirche: Als ich vor einigen Jahren an der Lamberti-Kirche vorbeiging, bekam ich zufällig mit, wie eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin auf dem Lamberti-Kirchplatz stand. Eines der Kinder zeigte auf die drei Wiedertäufer-Käfige am Turm und fragte die Lehrerin: „Was sind das denn für drei Käfige?“ Die Lehrerin antwortete: „Genau weiß ich das nicht, aber ich meine, das hat mit den heiligen drei Königen zu tun!“