Weihnachten
Als mir im Supermarkt eine Dame an der Kasse „Frohe Weihnachten!“ wünschte, habe ich geantwortet: „Und ich wünsche Ihnen auch schon frohe Ostern!“ Das war Mitte November. Bei uns ist der Zeitrhythmus völlig durcheinander geraten. Und wenn ich mich hier in der Stadt umsehe, merke ich- nicht ohne erheblichen Ärger -,
dass das heidnische Konsum-Weihnachtsfest auf der ganzen Linie gesiegt hat. Ich habe früher mal vorgeschlagen, man sollte den 25. Dezember und die zwei bis drei Monate der „Vorweihnachts-Zeit“ endgültig den Heiden überlassen (die ja ursprünglich vor 2000 Jahren am 25. Dezember das Fest ihres heidnischen Sonnengottes feierten). Und dann könnte man ja am ursprünglichen Fest der Christus-Geburt am 6. und 13. Januar das christliche Weihnachtsfest zusammen mit unseren orthodoxen Geschwistern feiern. Aber ich befürchte: Mein Vorschlag wird nur als Konsum-Feindlichkeit abgetan. Schade.
Sie finden hier die schönste Weihnachtskarte, die ich kenne. Allerdings: Ursprünglich ist sie wohl gar nicht für Weihnachten gedacht. Friedensreich Hundertwasser hat 1955 sein Bild „Der große Weg“ genannt, und das ist ja für den Weg nach Weihnachten hin sehr passend. Jeder mag das Bild nach seiner Intention deuten. Ich sehe zunächst den Ursprung des großen Weges der Geschichte in einem dunklen Etwas, allenfalls von etwas Wasser belebt wird; Gottes Geist schwebte über den Wassern, so heißt es ja am Anfang der Bibel. Aber Gott ist nicht nur der Schwebende, sondern der den Weg der Geschichte in Bewegung bringt. Nach einer gewissen Strecke ist ein Quadrat; vielleicht das Volk Israel, das den Weg kurz behindert und dann weiter führt? Und dann ist es eine (fast!) unendliche Geschichte
von Blut, Geist und Liebe (Rot!). Immer wieder sind es Gefahren, vom Weg abzuirren. Was wie Brücken erscheint, sind in Wirklichkeit tödliche Hindernisse des Weges. Der Weg scheint, indem er sich dreht, in eine Sinnlosigkeit zu führen. Aber genau das ich es nicht. Sondern nach vielen Windungen kommt der Weg der Geschichte endlich im Zentrum, in der Mitte an; zum Schluss wird der Weg schmaler, aber dann strahlt er auf; die optische Ähnlichkeit mit dem Symbol des Volkes Israel ist nicht zu übersehen. Jetzt ist der große Weg endlich am Ziel.
Weihnachten? Mit der Geburt des Gottessohnes nach vielen Wegen und Umwegen kommt die Menschheit endlich ins Zentrum ihres Daseins. Wir wissen ja letztlich nicht, wie sich die Geburt Jesu abgespielt hat. Wir kennen wunderbare Geschichten, aber sind sie authentisch? Sind sie wie Real- Reportagen? Oder sind sie theologische Bilder für einen grandiosen Zusammenhang, der etwa lautet: Egal, was nun geschieht: Mit Jesu Geburt fängt alles neu an! Und das, so meine ich, wird in unserem schönen Weihnachtsbild ausgesagt: Nicht was real passiert ist; was kluge Autoren auch mit den Bildern anderer Religionen und Kulturen ausgesagt haben: Mit Jesus fängt die Weltgeschichte erst richtig an; er ist das Zentrum von allem: von Geschichte, von Erlösung, von Menschlichkeit, von Zukunftshoffnung. Er ist zugleich auch die Mitte, das Ziel. Das ist es!
Ich erinnere mich jetzt übrigens, dass der große Theologe Karl Rahner, dessen Schüler ich in Innsbruck sein durfte, einmal gesagt hat, es habe bisher in der Weltgeschichte etwa 90 Milliarden Menschen gegeben, von denen nur ein Bruchteil, etwa 500 000 vor Jesus gelebt hätten. Eigentlich, so sagte er, habe die Menschheit erst mit Jesus vor 2000 Jahren richtig angefangen. Er meinte: Quantitativ, aber wohl auch qualitativ!
Meditieren Sie das schöne Weihnachtsbild doch an den Feiertagen ein bisschen. Auch ein Gebet wird Ihnen bestimmt einfallen.
Ich wünsche Ihnen schon jetzt frohe Weihnachten – und Frohe Ostern!