Die Letzten und die Ersten

Bei der Vorbereitung eines Gottesdienstes stieß ich heute auf das Bibelwort „Die Letzten werden die Ersten sein, und die Ersten die Letzten“. Dieses Wort sah ich im Matthäus-Evangelium, aber bemerkenswerterweise steht es auch bei den beiden anderen Evangelisten Markus und Lukas. Es ist also ein sehr übergreifendes Wort, wahrscheinlich in der Verkündigung Jesu und dann bei der schriftlichen Abfassung durch die Evangelisten. Bei Matthäus steht es am Ende, gleichsam als Zusammenfassung, der Geschichte von den Arbeitern im Weinberg, wo der, der nur eine Stunde gearbeitet hat, genauso viel Lohn bekommt wie der, der den ganzen T5ag gearbeitet hat. Dieser Text geht uns wahrscheinlich ziemlich schräg, denn es entspricht nicht unserem Gerechtigkeitsempfinden, und die Gewerkschaften würden wohl auf die Barrikaden gehen. Es ist nicht leicht, dem Text eine positive Sinngebung  zu vermitteln: Ich deute den Text so, dass gesagt werden soll: Gott ist immer ein Schenkenden, nicht einer, der Leistungen belohnt. Das wäre ein durchaus  jesuanischer Gedanke.

Und unsere Erfahrung? Ich habe vor einer Woche auf der Landesgartenschau in Iburg – sehenswert! –  fünf Blumenzwiebeln einer Pflanze gekauft, die den Namen „Duftende Ismene festalis“ trägt, also einfach „Ismene“. Seltsam: Eine der fünf Blumenzwiebeln zeigte bereits einige Zentimeter grüne Stängel, die anderen vier noch nicht. Ich habe alle fünf Zwiebeln in einen Blumenkasten gepflanzt, und die bereits ziemlich entwickelte Blume habe ich in die Mitte gesetzt. Ich war gespannt, wann die vier noch völlig unentwickelten die fünfte einholen würden.

Und dann geschah etwas Seltsames: Die vier „Zurückgebliebenen“ wuchsen und wuchsen, und die fünfte wuchs kaum. Als die vier bereits fast 60 cm groß waren und wunderbaren Duft ausstrahlten, war die fünfte noch ziemlich kümmerlich. Jetzt ist auch sie gewachsen, aber blühen tut sie immer noch nicht. Und ich denke: So ist das wirklich: „Die Ersten werden die Letzten sein, und die Letzten die Ersten.“

Direkt neben dieser merkwürdigen Begebenheit steht ein großer Blumentopf, in den ich vor einigen Jahren einen Johannisbeer-Strauch gepflanzt habe. Er hat in den letzten Jahren einige Trauben gebracht, aber in diesem Jahr war er völlig vertrocknet: alle Blätter bis in die Spitzen der Zweige waren braun und verdorrt. Seit voriger Woche sprießen an den Spitzen überall kleine grüne Blätter hervor. Ich hatte den Strauch ja eigentlich schon aufgegeben, weil ich ihn für tot hielt. Und jetzt: kleine, aber unübersehbare Zeichen von Leben, von Wachstum. Ob das vielleicht ein Symbol für Auferstehung ist?