Heilige Familie.

Heilige Familie
Direkt an der Neiße, wenige Kilometer von Görlitz entfernt, liegt das wunderbare Kloster Marienthal, das seit seiner Gründung im 14. Jahrhundert von Zisterzienserinnen bewohnt wird. Es ist hervorragend restauriert und ist eine geistliche Oase inmitten einer weltlichen Welt. Wenn man an der Nordseite vorbeigeht, fällt der Blick auf ein farbiges Relief, das ich bei meinem Besuch dort vor einem Monat fotografiert habe.

Das Relief zeigt die Familie von Nazaret: Josef, Maria, Jesus. Ein bekanntes Motiv. Es ist klar, wer die Hauptperson ist: das Jesuskind in der Mitte. Darüber ist ein Symbol des Vatergottes, rechts und links wird die Szene von Bäumen eingerahmt. Das Relief ist um 1670 entstanden, den Künstler kennen wir nicht. Eigentlich ist es ein sehr traditionelles Motiv, aber wir wissen natürlich aus der Bibel, dass der Jesus-Knabe schon sehr früh erwachsen war und in der Weltstadt Jerusalem seinen Eltern weglief, um im Tempel zu sein.

Wenn heute Familien an dem Bild vorbeigehen, mögen sie erfreut sein über diese hier gezeigte Idylle, aber wenn sie ein bisschen mehr nach der Familie Jesu forschen, werden sie nicht unbedingt den Wunsch haben, ihre eigenen Kinder möchten es so wie Jesus machen. Bestimmt nicht. Viele unserer Kinder heute wachsen sehr behütet auf. Sie werden von der Mutter zur Schule, zum Sport, zur Nachhilfe usw. gefahren. Ob die Sorge um das Seelenleben der Kinder genau so groß ist, darf dann bezweifelt werden. Die „antiautoritäre“ Erziehung hat dunkle Spuren hinterlassen.

Immerhin: Im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein wurde die Pflege und Erziehung von Kindern den Ammen überlassen. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts warben Mediziner dafür, dass die Mütter ihre Kinder selbst stillen sollten; das taten bis dahin nämlich auch die Ammen.

Das lateinische Wort „familia“ leitet sich übrigens von „Famulus“ ab, was übersetzt „Haussklave“ bedeutet. Die Familie war also nicht nur Eltern und Kinder, sondern zur Familie gehörte der ganze Hausbesitzstand des Mannes, einschließlich Sklaven und Vieh.

Kürzlich habe ich gelesen, dass verlorene Brieftaschen besonders dann abgegeben werden, wenn darin ein Familienfoto oder Bilder von kleinen Hundewelpen oder kleinen Kindern sind.

Die pädagogische Forschung hat festgestellt, dass junge Erwachsene mit höherer Wahrscheinlichkeit ein zufriedenes Leben führen, wenn sie neben der Mutter mit mindestens einer Schwester in der Familie aufwachsen. Warum das so ist, ist diskutabel. Aber es kann durchaus sein, dass Mädchen ausgleichender sind.

Aber was ist eigentlich eine Familie? Gehören Großeltern zur Familie? Oder sind Familie nur Eltern und ihre Kinder? Und was ist mit den „unvollkommenen Familien“, die nur einen Vater oder eine Mutter haben? Und gehören erwachsene Geschwister nicht zu einer gemeinsamen Familie? Der frühere amerikanische Präsident George Bush und sein einstiger demokratischer Herausforderer Al Gore waren übrigens Vettern neunten Grades. Sind sie eine Familie? Oder muss der Familienbegriff enger gefasst werden?