Wie im Feuer.

Nicht weit von der deutsch-französischen Grenze liegt bei Belfort die Industriestadt Audincourt; weil kurz nach dem zweiten Weltkrieg die Industrie in kurzer Zeit wuchs, besonders durch das Automobilwerk von Peugeot, beschloss man, eine neue Kirche zubauen. Der Baubeginn war am 8. September 1949. Maßgeblich beteiligt an dem modernen Kirchenbau war damals der Dominikanerpater Couturier, der als der geistliche Bahnbrecher der modernen Kirchenbau-Kunst in Frankreich gilt. Es war seine Art, keine Kompromisse zu schließen. Und wenn es auch im Arbeitermilieu von Audincourt nicht ganz leicht war, einen modernen Kirchenbau durchzusetzen, so hatte das Ergebnis den Pater voll bestätigt.
Heute gibt es, nicht zuletzt dank P. Couturiers, einige hervorragende neue Kirchen, die sich auch nach dem Konzil als mustergültig erwiesen haben: Ronchamp, Assy, Vence und eben Audincourt; in den letzten Jahren ist die Kathedrale von Evry am Stadtrand von Paris, eine wunderbare Schöpfung des großen Architekten Mario Botta, dazu gekommen.

Der Architekt von Audincourt ist Novarina, der auch anderswo Kirchen gebaut hat. Der Frontschmuck, ein gigantisches Gemälde mit dem Herz-Jesu-Motiv, ist von Léger, ebenfalls das gläserne Fensterband; das eindrucksvollste Detail aber ist für mich die Taufkapelle von Bazaine. Ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, die Kapelle zu sehen und in ihr zu stehen, und ich hoffe, bei einer Pilgerreise im nächsten Jahr wieder dort zu sein. Als ich das erste Mal in der Kapelle stand, war das mittags, und die Sonne schien mit ungebremster Wucht auf die Farben der Fenster. Es war ein unglaubliches Erlebnis, weil ich wirklich den Eindruck hatte, mitten im Feuer zu stehen, direkt neben dem Taufstein, in dem das Taufwasser aufbewahrt wurde. Feuer und Wasser direkt nebeneinander!
Das Licht der Farbfenster war so gewaltig, dass man fast keine Einzelheiten mehr erkennen konnte. Gern würde ich mal an einer Taufe in diesem herrlichen, von Licht völlig ausgefüllten Raum erleben.

Die Taufkapelle erinnert mich stark an ein Wort aus dem Matthäus-Evangelium. Johannes der Täufer tauft im Jordan, indem er die Taufbewerber als Zeichen ihrer Bußgesinnung in das Wasser tauchte und sie damit taufte, natürlich nicht im Sinn einer christlichen Taufe; denn sie ist nicht Ausdruck von Bußgesinnung – wie könnten dann kleine Kinder getauft werden -, sondern Zeichen für den Eintritt in das Gottesreich. So definiert Johannes selbst die Taufe im Jordan: „Ich taufe euch nur mit Wasser der Umkehr.“ Aber dann: „Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen.“ Johannes verweist auf Jesus, und dieser Vers deutet wohl an, dass der Täufer den Leuten, bevor sie ins Wasser stiegen, eigenhändig die Schuhe auszog. Und dann kommt ein großes Wort: „Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen!“ (Matth 3,11)

Seltsam eigentlich, dass man im Ritus der christlichen Taufe eher an der Johannes-Taufe orientiert ist. Aber der Inhalt ist von der Art, wie Jesus die Taufe versteht: Heiliger Geist, also der göttliche Lebensatem, wird dem Täufling eingeblasen, und das Feuer der Reinigung, wie man es zum Beispiel bei der Verarbeitung von Edelmetallen kennt, wird um den Täufling entzündet; ob man deswegen bei der Bewährungsprobe eines Menschen von seiner „Feuertaufe“ spricht? Jedenfalls ist das Feuer natürlich nicht im Sinn von Zerstörung, sondern im Sinn von Reinigung gemeint. Und es ist wohl auch gemeint, dass der, der im Feuer steht, dem bergenden, lichterfüllten Gottes besonders nahe ist. Und man denkt auch an die alttestamentliche Geschichte von den jungen Männern um Daniel, die im Feuerofen standen und gerettet wurden.

In Audincourt, in der herrlichen Taufkapelle, steht der Mensch im Feuer und verbrennt nicht, so wie Gott im brennenden Dornbusch zu Mose sprach, im Dornbusch, der brannte und doch nicht verbrannte.

Nirgendwo ist mir der Sinn des Feuers so deutlich geworden wie in der Kapelle in Audincourt.

Ulrich Zurkuhlen (Oktober 2006)