In die Luft gehen!

Die Schulferien in Nordrhein-Westfalen sind ziemlich genau in der Mitte angekommen. In anderen Bundesländern fingen die Ferien erst gerade an, da liegt noch fast die gesamte Ferienzeit vor den gestressten Schülern. Bei uns sagen die ersten Schüler schon, dass die Ferien doch ziemlich langweilig sind und dass sie sich auf die Schule freuen. Natürlich ist der Grund der Freude nicht der Unterricht, sondern das Wiedersehen mit den Schulfreunden, die man in den Ferien doch ziemlich vermisst, wenn die einen auf den Malediven, die anderen in Korfu und wieder andere in Irland sind. Die Vorfreude auf das Wiedersehen wächst von Tag zu Tag.

Das ändert nichts daran, dass man sich in den Ferien und im Urlaub so wunderbar leicht fühlt. Vielleicht liegt es daran, dass die Luft tatsächlich zur Zeit so klar ist wie selten; gerade im Sommer ist ja sonst die Luft oft ziemlich dunstig und verschwommen; den Weitblick vom Berg hat man eigentlich nur beim Föhn, dann kann man Hunderte Kilometer weit sehen. In diesem Jahr ist, bedingt durch einen ganz ungewöhnlich hohen Luftdruck, wie man ihn ganz selten hat die Luft so klar wie eine gereinigte Glasscheibe. Da kann es sein, dass man das Gefühl hat zu schweben oder mindestens, sich ein wenig vom Boden abzuheben. Ich habe vor einiger Zeit erlebt, wie ein Freiballon sich von der Erde abhob und langsam nach oben entschwebte; ich war aber nur Augenzeuge, denn ich habe Angst vor dem Fliegen, aber auch vor der Fahrt im Freiballon. Aber die Passagiere haben mir hinterher erzählt, dass sich der Ballon in der Luft gar nicht bewegt habe, da er genau so schnell gewesen sei wie der Wind. Es sei tatsächlich ein Schweben gewesen, leicht, sturmlos, getragen. Und es ist ja faszinierend, dass der Ballon die Schwerkraft überwindet, indem er nach oben steigt, statt wie ein Stein zu Boden zu fallen. Das macht die Luft im Ballon, die noch leichter ist als die Luft um den Ballon herum. Entweder enthält der Ballon das Helium-Gas, das leichter als die Luft ist und deshalb den Ballon nach oben hin zieht. Meistens wird die Luft im Ballon erhitzt und damit leichter gemacht; die meisten Ballons mit Passagieren sind Heißluft-Ballons.

Aber es muss wohl ein wunderbares Gefühl sein, alle Erdenschwere unter sich zu lassen; von der alten, belasteten Erde abzuheben und sich dem Firmament zu nähern. Und wenn dann die riesigen Ballon-Hüllen bunt und fröhlich sind, wird die Ballonfahrt zu einem fast schon religiösen Erlebnis, so haben es mir Leute gesagt: sich von der Last der Erde lösen zu können; die Richtung nach oben hin einzuschlagen; keine Last und keinen Sturm und keinen Luftzug zu spüren; dem Licht der Sonne ein wenig näher zu kommen; die Erde von oben zu sehen und manche Unebenheit der Erde einfach nicht mehr wahrzunehmen; auch die Menschen nur noch klein wie Insekten zu sehen; die große Weite der Welt zu betrachten… Da wird der Mensch zum Staunenden, der abgehoben vom Irdischen emporgehoben wird zu dem, was oben drüber ist.

Es ist ja nicht erstaunlich, dass die Menschen, wenn sie beten, den Blick nach oben richten. Natürlich wissen wir aufgeklärten Menschen, dass Gott genauso unten wie oben ist, genauso innen wie außen; aber das „Oben“ ist ein unverzichtbares Symbol. Oben, das ist die andere, reinere, luftigere Welt, und das verbinden wir dann mit dem, was die Theologie die „Transzendenz“ nennt, also das, was „hinüber steigt“.

Es ist also keineswegs unmöglich, dass der Mensch im Augenblick des Aufsteigens mit dem Ballon etwas von dem spürt, was unsere Welt übersteigt, transzendiert. Ähnliche Erfahrungen machen ja auch Bergsteiger, die nach langem mühsamen Aufstieg auf dem Berg etwas von dem „Oben“ ahnen, das alles „Unten“ übersteigt. „Oben“ und „Unten“ sind Worte der Symbolsprache, aber sie sind unverzichtbar, weil sie etwas vom Menschen und seinen Sehnsuchts-Dimensionen aussagen.

Vielleicht sind Ferien auch ohne Freiballon eine Ahnung von dem, was uns abheben und eine ganz neue Dimension der Wirklichkeit erfahren lässt.

Ulrich Zurkuhlen (Juli 2006)