Westportal der Kathedrale von Poitiers
Im Jahr 1991 waren wir, eine große Pilgergruppe aus Bocholt und der Dyckburg u.a. in fünf großen, berühmten französischen Marienkathedralen, aus ganz unterschiedlichen Zeitepochen. Wir waren – etwa 80 Pilgernde – in Le Puy, Rocamadour, Lourdes, Ronchamp und Poitier. Poitiers liegt ziemlich im Süden von Frankreich; wenn man Richtung Spanien an der Westküste von Südfrankreich fährt, (übrigens auf gleicher Höhe von Cognac, das für viele Frankreich-Besucher seinem Namen alle Ehre macht!); ich bin da in den letzten Jahren mehrmals gewesen, wenn ich meinen Kollegen und Freund Ceferino in Carceres besuchte.
Mitten in Poitiers steht die wunderbare Kathedrale Notre-Dame-la-Grande aus dem 11. Jahrhundert, also aus romanischer Zeit. Natürlich hat der „Zahn der Zeit“ an den Mauern genagt. Im Jahr 1995 wurde die Westfassade gründlich restauriert, und von dem Portal der Westseite stammt dieses Steinrelief; es befindet sich, wie man auf dem Bild deutlich sehen kann, oberhalb des Eingangs. Die fast 1000 Jahre alten Steinfiguren sind auch schon ziemlich verwittert, aber ich versuche mal, sie zu entschlüsseln. Es sind vier alttestamentliche Propheten, die in der Mitte über dem Portal-Höhepunkt stehen, während sich offenbar ganz rechts ein Engel entfernt; oder er gehört bereits zu einer anderen Szene.
Die vier Propheten künden das Kommen des Messias an. Es handelt sich um Daniel, Jeremias, Isaias und Mose. Es ist nicht leicht zu verstehen, wer welcher Prophet ist, der mit den beiden steinernen Gesetzestafeln, der dritte von links, ist Mose. Die Schrift ist auf dem Bild zu unscharf, deshalb kann ich nicht entschlüsseln, wer genau welcher Prophet ist.
Von Mose werden viele Geschichten erzählt; sie sind nur zum Teil historisch, aber sicher ist wohl, dass Mose das Volk Israel aus Ägypten geführt hat. Bekannt ist die schöne Erzählung, wie Mose auf dem Berg Sinai die zehn Gebote von Gott empfängt, wie auch immer es gewesen sein mag. In Exodus 24, 12 lässt der Verfasser Gott zu Mose sagen: „Ich will dir die Steintafeln übergeben, die Weisung und die Gebote, die ich aufgeschrieben habe. Du sollst das Volk darin unterweisen.“ Das ist eine Sternstunde in der Geschichte des Glaubens.
Von Daniel und seinen beiden Gefährten wissen wir aus der Bibel, wie sie von dem irren König getötet werden sollten, und zwar durch Feuer. Aber der Plan des Königs geht nicht auf; stattdessen singen die drei den wunderbaren Lobgesang, der die Jahrtausende überdauert hat und noch heute in der Liturgie der Kirche gesungen wird: „Gepriesen bist du, Herr, Gott unsrer Väter….“
Isaias ist der große Zukunftsprophet, der das Kommen des sehnlich erwarteten Messias ankündigt; viele seiner Worte werden später auf Jesus angewandt; auch Jeremias gehört zweifellos in die Reihe jener großen alttestamentlichen Gestalten, die für das Kommen Jesu und für die Frömmigkeit von Juden und Christen große Bedeutung haben.
So ist wohl deutlich, dass gerade diese vier Gestalten die Klammer alttestamentlicher Erwartung und neutestamentlicher Erfüllung sind. Propheten sind ja keine Zauberer oder Wahrsager, sondern Autoritäten, die den Menschen einen guten Weg in eine erfüllte und gesegnete Zukunft zeigen.
Da sind die vier an der christlichen Kathedrale genau richtig. Denen, die das Haus Gottes betreten, zeigen sie, welch herrliche Zukunft Gott ihnen und allen Menschen bereitet hat.