Nordportal der Marienkapelle in Würzburg

Schon wieder Würzburg? Ja, aber diesmal nicht, wie im vorigen Monat Mai, ein Portal des Würzburger Domes, sondern das Tympanon der Würzburger Marienkapelle, die ebenfalls, wie der Dom, im Stadtzentrum von Würzburg liegt. Das ist allerdings schon fast die einzige Gemeinsamkeit der beiden Kirchen. Das Tympanon ist ja nicht, wie die zahlreichen Kirchenportale, die wir an dieser Stelle gezeigt haben, ein Bronze-Kunstwerk, sondern der obere Teil des Gesamt-Tores, das aus Stein gehauen ist. Die Portale der Marienkapelle sind etwa zu Beginn des 15. Jahrhunderts in einer Würzburger Stein-Werkstatt hergestellt. Sie sind, wie schon der Name der Kapelle sagt, Szenen aus dem Marienleben.

Meine Verbindung zu Würzburg ist übrigens mehrteilig; als ich 1965 die Priesterweihe empfing, hat mir meine Familie ein Messgewand geschenkt, das in einer Werkstatt in Würzburg hergestellt war und das ich heute noch an hohen Festen in der Liturgie trage. Dann bin ich als Kaplan in St. Ludger in Lüdinghausen mit den Messdienern, die 1968 ein Ferienlager in Reuenthal am Main machten, zu einem Tagesausflug in Würzburg gewesen, und schließlich habe ich auf der Rückfahrt von einer Pilgerreise mit etwa 80 Pilgernden den Schlussgottesdienst in der Marienkapelle gefeiert. Ich kann mich gut erinnern, das einige zufällige Besucher der Kirche etwas verunsichert waren, weil wir ausnahmslos alle Teile der Messe, einschließlich Lesung, Evangelium, Hochgebet usw. gesungen haben. Die Leute fragten, welcher Sekte wir angehörten, aber da konnten wir sie beruhigen.

Aber nun zum Tympanon: Es zeigt die Ankündigung eines Engels an Maria zur künftigen Geburt des Gottessohnes: „Mariä Verkündigung“, das wir jedes Jahr am 25. März feiern, also genau neun Monate vor der Geburt Jesu. Die Darstellung dieser Szene ist ganz und gar ungewöhnlich. Zwar sind der Engel und Maria geläufige Gestalten der Verkündigungsgeschichte, und der Text der Engelsbotschaft ist bekannt: übersetzt „Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir“. Auch das Betpult mit Buch und zwei Kerzen ist bekannt. Aber dann: Oben sitzt der Vatergott, dessen greisenhafte Gestalt nicht so ganz zu meinem Gottesbild passt. Aber da ist ein verborgenes Geheimnis: Zwei Engel tragen einen Vorhang, der die Szene irgendwie verhüllt. Von Gottes Mund geht ein Schlauch (oder ein Rohr!) in das Ohr Mariens, und da ist eine Taube, also das Symbol des Heiligen Geistes. Und jetzt kommt’s: Auf dem Rohr gleitet ein kleines Kind bäuchlings zu Mariens Ohr herab. „Und das Wort (!) ist Fleisch geworden.“

Hat sich der Künstler so die Zeugung eines Kindes bildhaft vorgestellt? Oder ist es der Versuch einer Illustration des Satzes, den wir im Glaubensbekenntnis von Jesus sagen: „Gezeugt, nicht geschaffen!“

Viele Christen sind ja von diesem Glaubenssatz etwas irritiert, und ein Jugendlicher fragte mich vor einigen Monaten: „Hat Gott denn ein Zeugungsorgan?“ Wohl nicht. Aber der Künstler hat versucht, diese schwierige Sache ein wenig aufzulösen und verständlich zu machen. Und das ist, wenn man es genauer betrachtet, gar nicht so schlecht gelungen. Aber es bleibt geheimnisvoll, wie der Vorhang hinter der Verkündigungsszene wohl andeuten soll.