Die „Himmelsleiter“ an St.Lamberti in Münster

Seit einigen Wochen hängt ganz oben am Turm der St.Lamberti-Kirche in Münster diese „Himmelsleiter“, die im Dunkeln strahlend erleuchtet ist, und da dies der wohl höchste Punkt in Münster ist, leuchtet die Himmelsleiter, die ursprünglich in Wien hing, über die ganze Stadt. Es war übrigens spannend – und auch ein bisschen aufregend -, wie die erfahrenen österreichischen Bergsteiger an dem hohen spitzen Turm heraufkletterten und dort die Leiter anbrachten. Die Künstlerin Billi Thanner hat die Himmelsleiter gemacht; das Gegenstück zu diesem faszinierenden Kunstwerk hängt innen in der Kirche.

Das Motiv und der inhaltliche Ursprung der Himmelsleiter sind im Alten Testament zu finden. Im Buch Genesis (28, 10-19) wird erzählt, wie Jakob aus Beerscheba wegzog und auf seinem Weg nachts auf einem Stein schlief. Dort hatte er einen Traum bzw. eine Vision: Er sah, wie eine Leiter auf der Erde stand; ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Auf der Leiter stiegen die Engel auf und nieder, und Gott sprach zu Jakob, dem Sohn Abrahams, eine wunderbare Zukunftsvision: Jakob wird der Vater eines riesigen Volkes werden; und Gott wird ihn behüten überall. Und Gott wird den Jakob nicht verlassen. Als Jakob am Morgen erwachte, errichtete er ein Steinmal, salbte es mit Öl und nannte den Ort Bet-El, übersetzt „Haus Gottes“.

Diese wunderbare Erzählung ist ein verbreitetes Motiv christlicher Kunst. Ich erinnere mich z.B. an die Moldauer Klosterkirchen in Rumänien, die ich vor Jahrzehnten besuchte: an der rechten Außenwand aller dieser kleinen Kirchen ist das Motiv von den Engeln, die auf der Leiter auf- und absteigen, farbig gemalt.

Die Deutung, die die Künstlerin ihrem Werk gibt, entspricht nach meiner Meinung nicht ganz der ursprünglichen Intention. Es ist zwar stark, dass sie die Himmelsleiter als den persönlichen Weg des Menschen zu Gott beschreibt. Jede Sprosse steht für eine menschliche Tugend, und der Mensch muss die Tugendsprossen nacheinander besteigen, um nach oben, also zu Gott zu gelangen: Respekt, Freundlichkeit, Mitgefühl, Bescheidenheit, Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Dankbarkeit, Weltoffenheit, Treue, Weisheit, Vergebung (!), vor allem auch Glaube, Hoffnung und Liebe. Das ist alles sehr erstrebenswert, aber ich deute die Himmelsleiter eher so, wie es der Pfarrer von St. Lamberti schrieb: Es geht um Gott, der von oben zu uns Menschen herabsteigt; deshalb sind die Sprossen der Leiter auch so leuchtend. Das entspricht auch eher der biblischen Botschaft. Und es ist außerdem – oder gerade deshalb – ein guter Anstoß für eine weihnachtliche Meditation: Gott kommt zu den Menschen, und seine Spuren machen plötzlich alles hell.

Die wunderbare, zum geistlichen Nachdenken anregende Himmelsleiter ist bis März 2023 zu sehen.