Die Ruine von Notre Dame in Paris

Notre Dame, diese herrliche gotische Kathedrale in Paris, eine Ruine? Einerseits „Nein“. Vor wenigen Tagen war in den Zeitungen ein Bild abgebildet, auf dem ein Dutzend Kleriker in Notre Dame die Messe feierten, und zwar vor herrlichen unzerstörten Farbfenstern, und mit weißen Kopfbedeckungen. Erst dachte ich, die Kleriker wollten mit ihren weißen Hüten den Papst veräppeln, aber es war doch ein bisschen anders: Die Kleriker mussten sehr stabile Schutzhelme tragen, weil die Kirche noch nicht völlig gesichert und nach wie vor einsturzgefährdet ist. Also doch „Ja“? Wer sich an die Bilder von der brennenden Kathedrale erinnert, dem wird es bei diesem Gedanken heute noch übel. Die riesigen Flammen, die aus der Kirche schlugen; der einstürzende Vierungsturm; das zusammenbrechende Dach des Längsschiffs. Das waren realisierte Schreckensträume. Auch die erschrockenen und weinenden Gesichter bleiben in Erinnerung. Dass bei den Gedächtnisfeiern kein Vertreter der deutschen Kirche anwesend war, bleibt auch in Erinnerung. Auch der Streit um die Spenden: Millionäre haben jetzt bereits für en Wiederaufbau der Kathedrale riesige Geldmengen gestiftet. Das hat viele Menschen empört, die um die Armut vieler Menschen auch in Paris wissen. Man hätte es vielleicht diskreter machen sollen.

Wie dem auch sei: Vor drei Wochen haben meine Schwester und ich Paris besucht, und wir gehörten zu den Massen von Menschen, die das Äußere der Kathedrale besichtigten und fotografierten. Und man hat tatsächlich den Eindruck, dass ein Teil des Mauerwerkes recht stabil ist. Die kostbaren Fenster sind mit vermutlich sehr fester Folie abgedichtet, auch das Hauptschiff ist geschützt. Und das Westwerk mit den beiden Türmen, also die Schauseite, wirkt nahezu unbeschädigt.

Aber genau an diesem Westwerk hängt eine für mich schlimme Erinnerung. Ich war im Sommer 1982 mit einer Schülergruppe der Loburg, die gerade in meinen Bulli passten, in Frankreich; die Schüler hatten gerade ihr Abitur gemacht, und nun besuchten wir einige der herrlichen Kathedralen in Frankreich. Reims, Metz, Troyes, Laon, Chartres, Amiens, Beauvaix und natürlich auch Paris. Wir saßen in der heißen Mittagsonne  direkt den Türmen gegenüber und sahen uns staunend und schweigend das wunderbare Bauwerk an. In diesem Moment sprang eine junge Frau oben von dem rechten Turm herunter und klatschte nur wenige Meter vor uns auf das Steinpflaster; sie war natürlich sofort tot; ich vermag nicht, den Anblick zu beschreiben. Bald kamen Polizei und Kranken- bzw.Leichenwagen; einige Polizisten liefen schnell die Turmtreppe hoch. Sie wollten wohl nachsehen, ob möglicherweise auch noch andere an dem Suizid beteiligt waren.

Und jeden Abend haben wir vor unserm Zelt diskutiert, warum die Frau wohl Selbstmord begangen habe. Natürlich gab es keine Antwort, aber  beunruhigt waren wir sehr. – Auch das war Paris Notre Dame!