Kardinal Mindszenty ( 1892- 1975).

Ich weiß nicht, ob sich noch viele Zeitgenossen an den ungarischen Kardinal erinnern. Meine Aufmerksamkeit wurde auf ihn und sein Schicksal gelenkt, als ich kürzlich bei einer Fahrt nach Ungarn auch nach Estergom kam und dort in der Krypta des gewaltigen Domes von Estergom, weit sichtbar über der Donau,  sein Grab entdeckte. Ich war der Meinung, das Grab sei in der Wallfahrtskirche von Mariazell in Österreich, da hat er wohl gelebt und ist nach seinem Tod wohl zunächst dort beerdigt, später aber nach Ungarn überführt worden.

Mit dem Kardinal verbinde ich insofern dunkle Erinnerungen, als er 1956 die beherrschende Figur des Ungarnaufstandes war, und dieser Aufstand mit vielen Toten  erfolgte gerade mal 10 Jahre nach dem Ende des 2 Weltkriegs. In vielen Menschen hat der Aufstand damals große Ängste geweckt. Zunächst hatte sich der ungarische Regierungschef Nagy gegen die alles beherrschenden Sowjets aufgelehnt, und einer seiner wichtigsten Fürsprecher war der Kardinal. Die Sowjets schlugen den Aufstand sehr blutig nieder, und soweit ich mich erinnere, wurde Nagy verhaftet und getötet, und der Kardinal, Sprachrohr und geistiger Führer der Revolution, floh in die amerikanische Botschaft in Budapest, wo er mehr als 10 Jahre wie ein Gefangener lebte. Dann kam er nach Rom, später nach Mariazell. Er wird heute von vielen Ungarn zu Recht wie ein Heiliger verehrt: ein Bischof, der den Mut hatte, sich zu widersetzen, auch in Lebensgefahr.

Ich erinnere mich an diese Ereignisse, weil ich den zweiten Weltkrieg als Kind miterlebt hatte; ich hatte 1956 panische Angst vor einem neuen Krieg. Und als unser Dorfvikar uns Jugendliche  nachdrücklich bat, für die toten Ungarn zu beten, bin ich kaum mehr aus der Kirche herausgekommen, das war Anfang November 1956. Ich weiß nicht, wie viel Ungarn ich durch meine Gebete aus dem Fegefeuer befreit habe (!), so dachte ich damals. Meine Kriegsangst war ähnlich akut bei dem Einmarsch der Russen in Tschechien, beim Bau der Berliner Mauer, bei der Kuba-Krise und da ganz besonders.

Später hat mir meine Großtante, Ordensschwester in Ostberlin gesagt, mit der Niederschlagung des Ungarnaufstandes ohne die geringste Solidarität der Westmächte, obwohl sie ausdrücklich um Hilfe gebeten wurden, die Leute in der sowjetischen Zone keine Hoffnung hatten, dass im Ernstfall der Westen ihnen zu Hilfe kommen würden. Insofern ist 1956 eine maßgebliche politische und moralische Zäsur in mehrfacher Hinsicht. Der Ungarnaufstand ist in der Erinnerung vieler Menschen völlig verblasst, ob man in einem Jahr, wenn  die Katastrophe zum sechzigsten Mal in Erinnerung gerät, dieses Ereignis ausgiebig gewürdigt wird?

Ich denke oft an Kardinal Mindszenty, dem Fast-Befreier Ungarns.