Der kleine Isaak.

Die Geschichte ist ja ziemlich makaber, und das Bild, das da vermittelt wird von Gott und seinem treuen Diener Abraham, ist eher abschreckend als einladend.

Zunächst: Ich habe das Bild am Portal des Freiburger Münsters gefunden. Das Portal ist eines der schönsten, das ich kenne: 1276/1277 entstanden und vor Jahren hervorragend restauriert. Ich habe in meinem Urlaub mehr als zwei Stunden vor dem Portal gesessen und habe immer wieder Neuigkeiten entdeckt. Ich hatte schon zu Weihnachten auf eine sehr schöne Szene hingewiesen, wo der kleine Jesus mit blonden Locken in einem Futtertrog liegt, direkt über seiner Mutter. Dieser Jesus ist alles andere als ein neugeborenes Baby; er beugt sich mit aufgestütztem Arm zur Mutter herunter, und die streichelt ihr Kind am Kinn. Am Fußende stehen Esel und Ochse; der Ochse frisst wohl aus dem Futtertrog Heu oder etwas Ähnliches; oder zieht er an der Decke des jungen Jesus? Der Künstler hatte jedenfalls nicht nur eine rege Fantasie, sondern auchHumor.

Die Geschichte heute ist nicht humorvoll. Die Bibel erzählt, Gott habe dem Abraham den Befehl gegeben, seinen Sohn Isaak zu opfern, eine grausige Geschichte. Und Isaak trottet neben seinem Vater her und wehrt sich nicht, als Abraham seinen Sohn auf den Holzstoß legt und mit dem Messer ausholt. Isaak stellt zwar unterwegs seinem Vater  eine Frage, aber ist mit einer nichts sagenden  Antwort zufrieden. Warum tut Isaak nichts? Warum läuft er nicht weg vor seinem grausamen Vater?

Die Antwort auf diese Fragen gibt unser Bild: Isaak war ja noch ein kleines Kind, das sich gar nicht gegen den vater wehren konnte. Das macht die Sache doppelt schlimm. Armer Isaak! Dass Gott sein grausames Spiel mit Abraham und seinem kleinen Sohn spielt, um Abraham zu prüfen, ist schlecherdings nicht verständlich; gemein!

Heute wissen wir, dass diese Geschichte keine Reportage, sondern Deutung ist. Die Geschichte markiert das – auch historische – Menschenopfer, auch wenn es in manchen Religionen, z.B. in Lateinamerika, bis insMittelalter noch Menschenopfer gegeben hat.Der Mensch glaubte, er müsse sein Liebstes dem grausamen Gott opfern. Damit macht Gott in der Abrahams-Geschichte Schluss.

Tieropfer waren dann noch erlaubt, aber auch die bis zum Tod Jesu nur noch selten, allenfalls beim Pessach im Tempel; auch das ist für uns heute unverständlich. Religionen entwickeln sicheben, auch die Botschaft einer Religion bekommt eine neue Perspektive. So ist es verständlich, dass das Volk Israel seit Abraham wusste: Menschenopfer machen Gott keine Freude.  Gottwill überhaupt keine Opfer, sondern Barmherzigkeit, so heißt es einmal in der Bibel. Aber die Abrahamsgeschichte hat die Menschen lange bewegt, und im Laufe einer langen Geschichte haben Menschen immer wieder an dem Gott gezweifelt, der den Abraham zwingt, sein Kind zutöten. Gut, dass es nicht so war, sondern dass Gott in Gegenteil einen Kindermord verhindert hat. Obwohl Abraham bereit war, ein Menschenopfer darzubringen, hat Gott diese schreckliche Tat verhindert.  Menschen opfert man nicht.

Dennoch finde ich, dass es nachdenklich macht, wenn man auf unserm Bild das Gesicht des kleinen Isaak sieht Welch eine Trauer! Aber der Maler hat doch ein sehr versöhnliches Zeichen gesetzt: Abraham legt dem kleinen Isaak die Hand auf den Kopf, als ob er sagen wollte: Es wird, auch dem Augenschein zum Trotz, alles gut werden. Vielleicht wusste Abraham in der Tiefe seines Herzens doch von dem liebevollen Gott viel mehr, als es den Anschein hatte.