Das Kreuz.

Der Europäische Gerichtshof in Straßburg hat kürzlich ein bemerkenswertes Urteil gesprochen: Kreuze dürfen in Klassenzimmern aufgehängt werden, weil sie ein wesentlicher Bestandteil der abendländisch-europäischen Kultur sind. Die einzelnen Länder müssen nun Regeln schaffen, die dem Urteil gerecht werden.
Damit wurde auch ein anderes Europäisches Urteil aufgehoben, das einer atheistischen Mutter in Italien Recht gegeben hatte, weil sie die Kreuze in Klassenzimmern für unzumutbar hielt und sich in ihrem atheistischen Erziehungskonzept beeinträchtigt sah. Es hat vor Jahren auch in Deutschland ein Urteil gegen die Kreuze gegeben, weil ein Vater in Bayern sich gegen die öffentliche Darstellung des Kreuzes gewandt hatte.
Nun haben wir uns im positiven Sinn daran gewöhnt, dass in Schulen, Gerichtssälen, an Straßen und Wegen usw. Kreuze hängen. Es ist schon wahr: Kreuze sind aus dem öffentlichen Leben nicht wegzudenken, oder es müsste schon so gehen wie im Dritten Reich, als alle Kreuze aus den Schulen verbannt werden sollten und sich vor allem die Oldenburger heftig dagegen gewehrt haben. Kreuze sind aber nicht nur ein Kulturgut, sondern ein Glaubenszeichen, und man darf das Kreuz nicht als eine kulturelle Errungenschaft abwerten. Für Christen ist das Kreuz zutiefst eine Glaubensaussage, und das müssen auch andere respektieren, die anderen Glaubens oder gar keines Glaubens sind. Schließlich ist unser Land nicht nur kulturell, sondern menschlich-geistig-geistlich vom Christentum geprägt. Vieles, was uns heute selbstverständlich ist, z.B. der hohe Wert des Individuums, die Freiheit seiner Meinung, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, die Verbindung von weltlicher und geistlicher Darstellung usw. ist zutiefst ein menschliches Glaubensbedürfnis, und zwar von sehr vielen Menschen. Glaube ist eine tiefe Kraft, aus der Millionen Menschen leben und schwierige Situationen ihres Lebens überleben.
Denn das Kreuz ist ein Zeichen der Liebe Gottes zu uns Menschen, der in Jesus Christus bis an die radikalste Grenze des Menschseins, nämlich den Tod gegangen ist. Das Kreuz zeigt uns in aller Schrecklichkeit die grenzenlose Liebe eines liebevollen Gottes.
Freilich darf man nicht an der Grenze des Todes stehen bleiben. Wir wissen, dass Christus vom Tod auferstanden ist. Der Tod hatte letztlich keine Macht über ihn, jedenfalls nicht für Dauer. Das Grab war für Christus nur ein ganz kurzer Durchgang, und dasselbe hoffen wir auch für uns.
Deswegen beeindrucken mich die Kreuze, die nicht am Karfreitag stehen bleiben. Die romanische Kunst hat eindrucksvolle Kreuze geschaffen, auf denen Christus nicht der unsäglich leidende, sondern der schon jenseits des Todes lebende König ist. In vielen Kirchen treffe ich solche Kreuze, und das eindrucksvollste ist wohl das Bockhorster Kreuz im Landesmuseum in Münster, von dem eine kleine Nachbildung in meiner Wohnung hängt. Wir können ja schließlich nicht so tun, als wüssten wir nichts von Ostern. Auch den Karfreitag können wir nur durch das Licht von Ostern hindurch sehen.
Deshalb fände ich es gut, auch für Kinder, wenn wir in öffentlichen Gebäuden, z.B. in Klassenzimmern, ein österliches Kreuz vor Augen hätten, nicht ein Kreuz, das unsäglichen und für Kinder schlecht erträglichen Schmerz darstellt, sondern Kreuze mit österlicher Aussage.
Im Johannes-Evangelium nennt Jesus das Kreuz seinen Thron: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen! Die ausgebreiteten Arme sind nicht nur Zeichen der Folterung, sondern Zeichen einer weltumspannenden Liebe. Jesu weit geöffneten Arme umfassen uns alle, auch die, die am Kreuz Anstoß nehmen.