Genetische Verwandtschaft.
Vor etwa einem Jahr ist im Zoo in Münster ein Gorilla-Baby geboren. Ich habe es gesehen, als die Gorilla-Mama das Kleine stolz in die Luft hielt und den vielen Zuschauern präsentierte. Vorher hatte sie es fest an sich gedrückt und ihm ihre Sympathie gezeigt.
Leider ist das Gorilla-Baby gestorben, wohl weil die liebe Verwandtschaft im Gorilla-Gehege etwas zu heftig mit ihm umgegangen war. Wir wollen den Tanten keine Bösartigkeit unterstellen, aber das Kleine hat den Ansturm seiner Verwandtschaft nicht überlebt. Die Leute in Münster haben damals heftig darüber diskutiert, ob es denn nicht leichtsinnig gewesen sei, das Gorilla-Kind im gleichen Gehege wie seine Verwandten aufwachsen zu lassen; manche sagten: Ich habe es gleich gewusst!
Nun ist vor einigen Wochen wieder ein Gorilla-Mädchen geboren, und die Freude in Münster war groß. Es bekam den Namen „Mary Zwo“, unter diesem Namen ist es weltweit bekannt geworden. Denn auch dieses kleine Äffchen war höchst gefährdet und hatte schon einige Schrammen abbekommen; ob es Eifersucht oder etwas zu ungestüme Zuwendung war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Das Kleine war sogar dicht daran, an seinen Verletzungen zu sterben. Da hat der Zoo, in Zusammenarbeit mit der Universitär, einen Entschluss gefasst: Mary Zwo wurde auf die Intensivstation der Universitäts-Kinderklinik verlegt – und hat überlebt. Nun wächst es in Stuttgart auf, wo es wohl im Zoo eine Einrichtung gibt, in der kleine Affen unbehelligt von allzu stürmischer Verwandtschaft aufwachsen können. Das bedauern die Münsteraner.
Aber Münsteraner sind sehr grundsätzlich, sie gehen den Dingen auf den Grund. Und so hat es in der Zeitung eine Leserbrief-Diskussion gegeben, ob es denn richtig sei, einen Affen in der Kinderabteilung der Klinik zu pflegen, zwar nur für kurze Zeit, aber immerhin. Einige meinten, das sei doch unerhört, weil da kranke Kinder und kranke Affen in derselben Klinik betreut würden. Schließlich gebe es da doch wohl einen gewaltigen Unterschied, Einer schlug – wohl eher satirisch – vor, demnächst auch kranke Kinder in der Tierklinik des Zoos zu pflegen.
Andere meinten, wenn Leben gerettet werden könnte, solle man sich so kleinlich sein im Urteil; erstens habe Mary Zwo keinem Kind das Bett weggenommen, und außerdem sei der Unterschied zwischen Mensch und Gorilla so groß auch wieder nicht. Der Zoo habe also richtig gehandelt.
Tatsächlich hat der Mensch mit den Menschenaffen mehr als 90 {0f38065183cb40ac31b18e7eb06d8f44721306cfb9fa896965a116e3f20acc1c} der Genen gemeinsam, aber das hat der Mensch auch mit der Maus. Da aber die Zahl der Genen riesig ist, ist zwischen den Menschen und den Gorillas noch ein großer Unterschied. Zwar kann man im Zoo erleben, mit welcher Freude die Leute ihre genetischen Verwandten bewundern, aber niemand möchte wohl mit den Menschenaffen verwechselt werden. Wenn man allerdings die Menschen auf der Salzstraße beobachtet, wird man schnell feststellen, dass der Unterschied zwischen Mensch und Gorilla, jedenfalls in Einzelexemplaren, nur gering ist.
Und warum haben Tiere kein Recht auf Leben und Lebenserhalt? Wir haben uns leider schon zu sehr daran gewöhnt, dass Tiere minderwertiger als Menschen sind, aber das ist die typische Sicht der Menschen. Wahrscheinlich möchte kein Gorilla mit den Menschen tauschen, und vielleicht schämt er sich seiner genetischen Verwandten, statt sie zu bewundern.
Dem kleinen Gorilla-Mädchen wird das alles ziemlich egal sein. Hauptsache, es kann in Frieden und in Gemeinschaft mit anderen Gorilla-Kindern aufwachsen. Und wenigstens das können wir Menschen vielleicht nachvollziehen.
Auf unserem Bild ist übrigens nicht Mary Zwo, sondern ein anderes Gorilla-Kind; ist es nicht niedlich?