Das Bockhorster Triumph-Kreuz.

Eindrucksvoll überragt das Bockhorster Kreuz im Landesmuseum in Münster alle anderen Exponate; denn das Kreuz aus dem Jahr 1150 ist riesengroß: Allein der Körper des Gekreuzigten hat eine Größe von 224 cm, die Spannweite der Arme misst 176 cm, also weit mehr als das Maß eines erwachsenen Menschen. Die Kreuzbalken sind 350 cm hoch und 220 cm breit.

Auf den vier Enden der Balken sind die Symbole der vier Evangelisten angebracht: Mensch, Stier, Löwe und Adler; diese vier Wesen haben ihren Ursprung in der Vision des Propheten Ezechiel, die wiederum im vierten Kapitel der Apokalypse des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, zitiert und übernommen ist. Das Kreuz stammt, soweit mir bekannt ist, aus dem ostwestfälischen Dorf Bockhorst bei Halle in Westfalen.

Besonders eindrucksvoll ist das Gesicht des Gekreuzigten, das nicht nur die Ruhe des Todes, sondern die Gelassenheit des Siegers ausstrahlt: Das Wort „Es ist vollbracht!“ scheint hier eine österliche Deutung – und Bedeutung! – zu bekommen. Nicht der Kampf ist beendet und das Leben erloschen, sondern der Sieg ist sicher, das Leben, das neue Osterleben, überwindet den Tod.

Deshalb trägt der Gekreuzigte die Königskrone, das Symbol des herrscherlichen Sieges. Und so haben die Christen der ersten Jahrhunderte immer den Sieg des Gekreuzigten am Kreuz dargestellt, nicht eigentlich sein schreckliches Leiden. Denn der Karfreitag ist auch für uns Christen heute nicht mehr denkbar ohne Ostern. Die Angst der Jünger, dass les vorbei sein könnte, ist für uns so nicht mehr nachvollziehbar. Wir können den Karfreitag nur durch den Filter des Osterfestes rückblickend denken. Und so ist es auch in der Liturgie des Karfreitags: Wir zerfließen nicht in Trauer, weil wir das gute Ende bereits kennen.

Deshalb sollten wir Christen eigentlich die Triumphkreuze, die der Theologie der frühen Christenheit, inspiriert besonders durch das Johannes-Evangelium, den barocken Leidenskreuzen vorziehen. Auch der Streit um die Kreuze in den Schulen, der vor einigen Jahren die bundesrepublikanische Christenheit bewegte, wäre entschärft, wenn die Kreuze auch in den Schulklassen von der Auferstehungsbotschaft geprägt wären.

Eine kleine Kopie des Bockhorster Triumpf-Kreuzes hängt in meiner Wohnung, gleich in der Nähe des Eingangs; deshalb ist es mein „Lieblingskreuz“, falls man das von einem Kreuz überhaupt sagen kann. Es hat damit eine ganz besonderes Bewandtnis: Mein Großvater war früher Mitglied des Kirchenvorstands der St. Ludgeri-Pfarre hier in Münster. Die Kirche wurde im Krieg völlig zerstört, und mein Großvater hat ein äußerlich sehr verkohltes Stück von dem eichenen Dachbalken der zerstörten Kirche erworben. Daraus hat der Freckenhorster Holzbildhauer Josef Heckmann zu meiner Erstkommunion im Jahre 1948 einen wunderbaren Leuchter geschnitzt, der in der Nähe meines Kreuzes steht. Viel später erinnerte sich meine Familie, dass Josef Heckmann auch Kreuze nach dem Modell des Bockhorster Kreuzes anfertigte¸ so haben wir ihn im Jahre 1960, als er schon hochbetagt war, gebeten, aus dem Rest des Dachbalkens, der also schon lange in unserem Keller lag, das Kreuz zu schnitzen. Der fast neunzigjährige Bildhauer hat uns diesen Wunsch erfüllt.

Ich finde, dass das Bockhorster Kreuz zu den eindrucksvollsten romanischen Kreuzen gehört. ES ist ja ganz eigenartig, dass das älteste Kreuz überhaupt, das man bisher entdeckt hat, ein Kreuz aus dem zweiten Jahrhundert ist; es ist in die Wand einer ehemaligen Gladiatoren-Schule auf dem Palatin in Rom eingeritzt, man hat es vor fast einhundert Jahren entdeckt. Das Bemerkenswerteste: Es ist ein Spottkreuz; denn der Gekreuzigte hat einen Eselskopf. Davor kniet ein junger Mann, sein Name ist Anaxamenes, das wissen wir, weil sein Name in die Wand miteingeritzt ist. Das war wohl ein junger Christ in der Gladiatoren-Schule, der sich zu seinem Glauben an den Gekreuzigten bekannte. Dafür hatte er den Spott seiner heidnischen Kameraden zu ertragen. Denn auf der Wand steht, ebenfalls eingeritzt: Anaxamenos betet seinen Gott an! Und dieser Gott, so meinten wohl die spöttischen jungen Heiden, ist ein Esel, weil er nicht dem Kreuz ausgewichen ist und weil er nicht nach Art der Gladiatoren mit dem Schwert um sich geschlagen hat. Das haben sie eigentlich ganz richtig erkannt: Wer so gewaltlos ist wie dieser Gott, den der junge Christ anbetet, der ist nach den Maßstäben unserer gewalttätigen Welt ein Esel. Die Spötter waren aber die eigentlich Dummen, die Esel; sie wussten nichts von der Auferstehung. Hätten sie es gewusst, dann hätten sie das Spottkreuz nicht in die Wand geritzt. Dann hätten sie klugerweise der Gestalt des Gekreuzigten den Kopf eines Siegers gegeben, vielleicht den des Bochhorster Kreuzes, das allerdings erst tausend Jahre später geschaffen wurde.

Brauchen die Menschen wirklich so lange, um zu begreifen?

Ulrich Zurkuhlen (April 2006)