Der Muschelmann.

Am 25. Juli feiert die Kirche das Fest des Apostels Jakobus, des Älteren; denn es gibt im Zwölferkollegium Jesu zwei Männer mit diesem Namen, der übrigens aus dem Hebräischen übersetzt etwa heißt: „Gott möge dich beschützen“; schon in der Geschichte Israels gibt es ja den berühmten Jaakob, der Vater mit den zwölf Söhnen, von dem das Buch Genesis ausführlich erzählt.

Der Apostel Jakobus der Ältere ist einer von den drei Aposteln, die offensichtlich unter der besonderen Nähe Jesu stehen: Petrus, Jakobus und Johannes, die sowohl bei der Verklärung auf dem Berg Tabor als auch bei Jesu Todesangst auf dem Ölberg dabei waren. Jakobus und Johannes waren Brüder, ihr Vater ist Zebedäus.

Viel interessanter ist die Legendenbildung um den Apostel Jakobus, der nach einem Traditionsstrang angeblich als Missionar bis nach Galizien in Nordwest-Spanien gekommen sei. Eine andere Tradition meint, er sei nach seinem Tod auf wunderbare Weise mit einem Schiff bis Galizien gekommen und dort von seinen Schülern begraben worden. Am lebendigsten aber ist die Tradition, nach der ein Bischopf Anfang des siebten Jahrhunderts auf wunderbare Weise das Grab des Jakobus entdeckt habe und dort in der Nähe eine Kathedrale zu seiner Ehre erbaut habe, und das ist eben die Stadt, die nach ihm benannt ist: Santiago de Compostela. Am 25. Juli und schon am Vortag wird dort ein spektakuläres Fest sein, bei dem es in der Stadt von Pilgern wimmelt. Abends ist ein Feuerwerk, bei dem die barocke Kathedralen-Front in feuerrotes Licht getaucht wird. Und am Festtag selbst vibriert die ganze Stadt von geistlichem und weltlichem Trubel, und es gelingt den Spaniern, beides miteinander in Verbindung zu bringen. Morgens ist der Festgottesdienst in der überfüllten Kathedrale, und am Fernsehschirm sieht man mehr den König oder ein Mitglied der königlichen Familie; für die Zuschauer ist das wichtiger als die heilige Feier, an deren Ende unter dem Jubel und Beifall der Menge das riesige Weihrauchfass durch das Querschiff der Kathedrale geschwenkt wird.

Seit Jahrhunderten und wieder mehr und mehr in neuerer Zeit kommen Pilger nach Santiago, und die Stadt war jahrhundertelang der wichtigste christliche Pilgerort nach Jerusalem und Rom. Millionen Menschen sind zu Fuß durch ganz Europa nach Santiago gepilgert zum Grab des Heiligen, dessen Statue in der Kathedrale von Santiago jeder Pilger/jede Pilgerin innig umarmt.

Das Symbol des heiligen Jakobus ist die Muschel, und man kann ja bekanntlich die Jakobsmuschel als besondere Delikatesse in jedem besonders guten Restaurant in ganz Europa essen. Aber das hat eine seltsame Ursache. Die Pilger waren an der Muschel, die sie sich umhängten, als Jakobus-Pilger erkennbar, aber die Muschel, die etwa handtellergroß ist, hatte stets einen ganz praktischen Sinn: Pilger brauchten sie als Teller, als Trinkschale und als Reinigungsgerät; denn man konnte mit der Muschel den Schmutz vom Körper abschaben, aber das ist eine andere Sache. Natürlich hatte man es ziemlich leicht, an eine Muschel zu kommen; denn Santiago liegt in Meeresnähe; einige Fußwege nach Santiago laufen an der Küste entlang, und so fand man leicht eine Muschel. Und wer mit der Jakobus-Muschel nach Hause kam, wies sich als wahrer Pilger aus. Selbst die Busreisenden, die heute zu Tausenden nach Santiago fahren, versäumen es nicht, in Padron, wo wohl der ursprüngliche Beginn der Jakobus-Verehrung in unmittelbarer Nähe eines alten keltischen Heiligtums war, eine Muschel aus dem Meer mitzunehmen.

Es lohnt sich übrigens, die unglaubliche Vielfalt von Muscheln näher zu betrachten; die Welt der Muscheln ist, auch ohne Jakobus, eine wunderbare, geheimnisvolle Welt.

Mehrmals bin ich, in der Regel zum Jakobus-Tag, in Santiago gewesen; es ist eine wunderbare Stadt. Und mit der Jakobus-Muschel, die ich von dort mitgebracht habe, habe ich schon mehrmals Kinder getauft. Das Wasser ist Zeichen des neuen Lebens, und die Muschel ist das geeignete Schöpfgefäß für das Wasser, das seit zweitausend Jahren Menschen in der Taufe mit Christus verbindet und sie fit macht für den irdischen Pilgerweg des Lebens. Der heilige Jakobus, der Schutzpatron der Pilger, möge seinen Segen dazu geben.

Ulrich Zurkuhlen (Juli 2005)