Ihre Leuchte ist das Lamm
Das Himmlische Jerusalem im Bild.
Das farbenreiche Fenster in der Kirche St. Paul in Bocholt ist nicht nur wert, angeschaut zu werden; sondern wenn das Sonnenlicht durch das Fenster an der Stirnseite der Kirche leuchtet, meint der Betrachter, selbst vom Licht der himmlischen Stadt „durchleuchtet“ zu werden. Aber, so wird es ja im 21. Kapitel der Apokalypse erzählt, am Ende wird die Sonne gar nicht mehr nötig sein, denn Gott selbst wird das Licht sein. In St. Paul bekommt man einen Eindruck davon, wie es einmal sein wird, wenn Gott den Menschen mit seinem alles überstrahlenden Licht sanft und stark durchleuchten wird.
Deutlich sind in dem großen Fenster, das im Februar 1984 von der Künstlerin Hildegard Bienen (1925-1990) geschaffen wurde, die zwölf Tore der himmlischen Stadt – zu jeder Himmelsrichtung hin drei – zu sehen. In der Mitte ist Christus, dargestellt im Symbol des Lammes, das wir vor einigen Monaten ausführlich bedacht haben. Von Christus gehen die Paradiesesströme aus. Das korrespondiert übrigens mit dem direkt neben dem Fenster aufgestellten Taufbrunnen, ebenfalls von Hildegrad Bienen, auf dem das Motiv der Paradiesesströme aufgegriffen wird.
Christus trägt das Buch mit den sieben Siegeln in der Hand (Kapitel 5). Wir haben vor längerer Zeit versucht, dieses Bild zu „entsiegeln“.
In der theologischen Aussage des Fenster-Bildes ist besonders geschickt, dass mehrere Bild-Aussagen der Apokalypse in einem einzigen Bild zusammenkomponiert sind: Zunächst also das Bild des „Himmlischen Jerusalem“ aus dem 21. Kapitel. Um das Lamm herum sind die vier „Lebenden Wesen“ zu sehen, die das 4. Kapitel beschreibt. Die Künstlerin hat die spätere Deutung, dass es sich um die vier Evangelisten handelt, aufgegriffen: die Vier- Mensch, Stier, Löwe und Adler – tragen Bücher in den Händen.
Um den Thron des Lammes steht die „große Schar“ aus allen Völkern und Nationen; sie tragen Palmen in den Händen. Im 7. Kapitel der Apokalypse – und dann noch einmal im 14. Kapitel – sind sie näher beschrieben; auch die 144 000 sind symbolisch angedeutet in den 144 weißen Kristallen des Bildes.
Unten rechts im Bild ist noch ein Engel zu sehen, der offenbar wichtig ist, weil er aus der Symmetrie des Bildes herausfällt: Ist es der Engel des 7. Kapitels, der „vom Sonnenaufgang heraufkommt“ und das Siegel des lebendigen Gottes in der Hand hält? Oder verbirgt sich dahinter der Engel aus dem 21. Kapitel, der den Betrachter einlädt, den Blick auf das Himmlische Jerusalem zu werfen? Oder der Engel mit dem Maßband, mit dem er das Himmlisch Jerusalem mit seinen Idealmaßen misst: die Stadt und ihre Tore und ihre Mauern? Oder der Engel, der auf das Lebenswasser hinweist, das vom Thron des Lammes ausgeht?
Jedenfalls ist es ein mutmachender Engel, der den Betrachter in der Hoffnung bestärkt, dass es Sinn macht, dieser Himmlischen Stadt der Vollendung entgegenzugehen und in ihrem Licht am Ende das Ziel der Menschheitsgeschichte zu finden. Es muss ein wunderbares Ziel sein; und die einladenden Gestalten und die herrlichen Farben des Fensters bestärken den Betrachter in dieser frohmachenden Hoffnung auf ein gutes Ziel am Ende der Zeit.
Ulrich Zurkuhlen