Christen und Juden.

Über einer Eingangstür zur Lamberti-Kirche in Münster, ist,  ziemlich unauffällig, ein Relief, das im Jahr 1919 geschaffen wurde. Im Zentrum steht „Christus in seiner Passion als göttlicher Erlöser“; wir kennen dieses Leidensbild aus vielen anderen, zumeist älteren Darstellungen. Links daneben steht Johannes der Evangelist, rechts Johannes der Täufer, also zwei große Gestalten mit demselben Namen, aber sehr verschiedenen Funktonen: der Täufer, der dem Messias vorausgeht, und der Evangelist, der in seinen Texten die Erinnerung an den Messias für alle Zeit lebendig hält. Und danebenist das berühmte Motiv „Ecclesia und Synagoge“, also Christen und Juden. Die Christen haben den Messias erkannt (links, Jesus zugewandt), die Juden nicht (rechts, von Jesus abgewandt). Der „Synagoge“ sind die Augen verbunden. Die einen glauben, die anderen warten noch. Und so hat man das Judentum lange missdeutet; man denke an die schrecklichen Judenverfolgungen im Namen des Christentums Manche Judenverfolger haben sogar das Wort aus der Passionsgeschichte Jesu zitiert: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Das ist ein schwieriges Wort. Ich glaube, dass dieses Wort nicht authentisch ist, sondern von den frühen Judenverfolgern  ins Evangelium eingeschleust wurde.

Heute wissen wir Christen, dass die Juden nach wie vor die Träger der Gottesverheißung sind, Gottes geliebtes Volk, „Lieblinge Gottes“, so hat es das zweite Vatikanum formuliert. Oder: Unsere älteren Geschwister im Glauben.

Sicher, für die jüdische Religion ist das Alte Testament wichtig, wichtiger wohl als das Neue. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Jesus und seine Familie und seine Jünger ausnahmslos Juden waren und dass Jesus, wenn er die „Schrift“ erklärte, natürlich nur das Alte Testament zitierte; ein Neues Testament gab es zur Zeit Jesu noch nicht.

Das Relief über dem Lamberti-Portal ist nicht nur Darstellung, nicht nur Interpretation der  Heilsgeschichte, nicht nur ein bisschen judenunfreundlich, sondern vor allem ein Appell an uns Christen, die gemeinsame Basis von Juden und Christen anzuerkennen und in dieser Gemeinsamkeit zu leben. Gemeinsam müssen Juden und Christen eintreten für die Anerkennung Gottes in der Welt.

Wenn mir Juden in den Sinn kommen, denke ich immer  an den vor einigen Jahren verstorbenen Chef der jüdischen Gemeinde in Deutschland, Paul Spiegel. Er war auf dem Laurentianum in Warendorf eine Klasse über mir, allerdings nur relativ kurze Zeit. Er war ein Genie des Wortes. In der großen Pause hatte er immer eine ganze Traube von Mitschülern um sich auf dem Schulhof, weil er immer so wunderbar erzählen konnte. Ich denke oft an ihn.

 

Ulrich Zurkuhlen