Kleiner Bonze.

Diese Postkarte hat mir vor etlichen Jahren ein Freund von einer Frankreichreise geschickt; und ich möchte mich bei dieser Gelegenheit einmal ganz herzlich bedanken bei den Freunden und Bekannten, die mich bei ihren Reisen so unermüdlich mit schönen Bildmotiven versorgen. So auch hier. Das Bild trägt den Titel „Petit bonze“, also „Kleiner Bonze“. Und das ist ganz ernst gemeint; denn das Wort „Bonze“, das bei uns bisweilen als Schimpfwort für reiche Prasser gebraucht wird, ist ursprünglich eine Bezeichnung, ein Titel für buddhistische Mönche. So ist das Wort auch hier gebraucht: Ein kleiner Mönch, ein Schüler eines Klosters, lernt fleißig das Lesen eines schwierigen Textes. Er sieht recht angestrengt aus. Vielleicht ist er den Umgang mit Schrift von Hause aus nicht gewohnt, vielleicht fällt es ihm wirklich schwer, vielleicht ist er auch einfach mit Andacht und Aufmerksamkeit bei der Sache, ein konzentriertes Lesen und Lernen.

Vor längerer Zeit hat mir jemand, der beruflich oft nach Ostasien kommt, erzählt, dass es in den Ländern des Buddhismus üblich sei, dass die Kinder, vor allem die Knaben, schon in jungen Jahren „Mönche auf Zeit“ sind. Der Film „Kundun“ bestätigt das, auch der andere nette Film „Das Spiel der Götter“, der um die Fußballweltmeisterschaft in Frankreich 1998 kreist, und zwar in einem tibetischen Kloster, wo die jungen Mönche es mit List und Tücke schaffen, die Fernsehübertragung aus Frankreich zu sehen. Die Jungen bleiben ein oder zwei Jahre im Kloster, bekommen dort eine solide Schulbildung und gehen dann entweder nach Hause oder zu einer Ausbildungsstelle oder Studium, und einige bleiben länger, einige sogar lebenslänglich im Kloster. Das bedeutet, dass alle Jugendlichen, besonders die männlichen Jugendlichen, eine Zeit der Spiritualität und der Wissenschaften mitmachen, bevor sie ihr berufliches und familiäres Leben beginnen. Dass sie nach ihrem Klosteraufenthalt eine gute Basis für ein sinnvolles, gelungenes Leben haben, darf man wohl vermuten.

Ich finde eine Jugend beneidenswert, die eine solche Lebensvorbereitung mitmacht. Ein bisschen erinnert mich das an die kirchlichen Internate hier in Europa, die entweder in der Trägerschaft eines Ordens oder eines Bistums waren; und einige gibt es immer noch. Auch dort wachsen Kinder und Jugendliche heran, die für das Leben unter den heutigen komplizierten Voraussetzungen gerüstet sind. Auch diese Kinder kamen oft aus bildungsfremden Familien, wurden oft von ihren Dorfpfarrern auf diese Schiene gesetzt und bekamen eine solide gymnasiale Ausbildung, und wenn jemand im Laufe der Schulzeit scheiterte, hatte er doch schon eine gute Grundlage für sein Leben. Viele Pfarrer hatten natürlich den Hintergedanken, einen künftigen Priester zur Ausbildung zu führen; manchmal traf diese stille Hoffnung auch tatsächlich ein, aber meistens ergriffen die Jungen einen weltlichen Beruf, und ziemlich hoch war die Zahl der Internatsabsolventen, die einen pädagogischen oder sozialen Beruf ergriffen.

Ich habe selbst neun Jahre lang als Internatsleiter gearbeitet und denke gern an diese Zeit zurück, in der ich zusammen mit 16 Erziehern eine große Zahl von 300 Internatsschülern begleitete; zu einigen habe ich noch guten Kontakt. Viele Schüler haben, zusätzlich zu ihrer Schulausbildung, in ihrer Internatszeit ein Musikinstrument gelernt, andere waren kreativ auf künstlerischem Gebiet, wieder andere bildeten sich im Sport weiter und brachten es auch außerhalb des Internats zu beachtlichen Erfolgen. Zwei hauptberufliche Psychologen begleiteten die Arbeit der Pädagogen, und ich kenne heute keine Schule, die sich zwei examinierte Schulpsychologen leisten kann. Wir konnten es.

Natürlich kann man nicht, wie die buddhistischen Mönche, den Jugendlichen eine auch geistliche Ausbildung befehlen, aber vielleicht sollte man etwas mehr dafür werben, und ich würde mir wünschen, dass z.B. Kinder aus oft bildungsfremden Migranten-Familien solche Möglichkeit bekämen. Aber ich bin kein Politiker, aber ich sehe, wie gut Kindern und Jugendlichen ein solcher Weg in Bildung und Erziehung tut.

Nicht nur für kleine Bonzen.