Vogelflug.

Es gehört zu den großen Wundern der Natur, dass die Vögel, die in nördlichen Ländern leben, im Winter nach Süden fliegen, und zwar in geordneten Formationen, nach einem wunderbaren System. Ich habe vor einigen Jahren den Aufenthalt von Tausenden Zugvögeln am Niederrhein beobachtet, und es ist grandios, auch wenn es für die menschlichen Bewohner der Umgebung nicht nur angenehm ist.

Es sind vor allem Kraniche, Störche und Reiher, aber auch viele andere Vogelarten, die wie von einer unsichtbaren Macht getrieben sich auf den Weg machen, der nicht selten einige tausend Kilometer weit ist. Eine wichtige Rolle spielt dabei natürlich der nahende Winter, der einen baldigen Aufbruch signalisiert, und der drohende Futtermangel. Aber wie das Kollektiv der Erfahrung funktioniert und sich dann alle gemeinsam auf den Weg machen, ist schon ein Wunder. Es ist also einerseits der Zwang der Notwendigkeit, aber es muss wohl in den Tieren ein Programm sein, dass die südlichen Seiten unserer Erdkugel so erstrebenswert sein lässt, und zwar unter großen Mühen. Vermutlich ist der „Zugtrieb“ durch Hormone gesteuert; das ist umso aufregender, als sich diese innere Unruhe sogar bei Käfig-Tieren durch Flattern und Toben äußert. Es ist so etwas wie eine innere Uhr, die schon funktioniert, wenn die äußeren Faktoren noch gar nicht zum Aufbruch drängen.

Gleichzeitig lagert sich schon recht früh, vermutlich auch hormonell bedingt, Körperfett ab, dass dann während des langen Fluges die Muskeln, die ja besonders beansprucht sind, stärkt.

Auch umgekehrt funktioniert der Zugtrieb: In der Fremde drängt irgendetwas in den Vögeln zum Aufbruch, und dieser „Rückkehrtrieb“ hört erst in der Heimat wieder auf. Es sind gigantische Entfernungen, die die Vögel zurücklegen. Ich las, dass der Fitislaubsänger, der 8 Gramm (!) wiegt, von Skandinavien bis Südafrika zieht, oder, auf einer anderen Route, von Lappland bis Indonesien. Sogar kleine Zugvögel legen Entfernungen von 800 bis 1000 km, ohne unterwegs zu rasten, zurück.

Zugvögel orientieren sich am Tage an der Sonne, und so können Bilder entstehen, wie der Schwarm der Zugvögel, der in die Sonne fliegt. Übrigens ist die Geschichte mit den Zugvögeln literarisch verewigt in Schillers berühmter Ballade „Die Kraniche des Ibikus“, die viele von uns früher in der Schule gelernt haben.

Unklar ist übrigens bis heute, wie sich die Zugvögel beim nächtlichen Flug orientieren. Es ist übrigens besonders bemerkenswert und bei der Beobachtung der Zugvögel leicht zu sehen, dass die Vögel windschnittig fliegen; dass also der „Hintermann“ im Windschatten des Vordermanns fliegt; das haben sich die Radfahrer bei großen Straßenrennen von den Zugvögeln abgeguckt.

Und: Der Verlauf des Fluges ist sehr „demokratisch“; die schwierige und anstrengende Leitposition wird oft gewechselt, damit alle die Last der Führung und das längere Ausruhen nach der Führung abwechselnd tragen. Aber wie nun genau der Wechsel erfolgt, auch das ist nicht geklärt: Gibt es Signale? Oder lässt sich das Führungstier einfach zurück fallen? Oder wie geht das eigentlich?

In einem wunderbaren Lied des Alten Testaments heißt es : Ihr Vögel am Himmel, preiset den Herrn! Ich finde, dass die Zugvögel zum Lobpreis ihres Schöpfers allen Anlass haben.

Ulrich Zurkuhlen (Januar 2006)