Trauben- und Melonenesser

Mein „Lieblingsmaler“ ist der spanische Maler Bartolme´ Esteban Murillo, der 1617 bis 1682 lebte. ES gab eine Zeit, da galt er als ein wenig sentimental, einige sagten auch „kitschig“, aber spätestens seit der großen Murillo-Ausstellung in München vor einigen Jahren ist Murillo wieder „in“. Er hat eine Unmenge von Bildern gemalt, viele davon haben einen religiösen Anspruch. Aber am bekanntesten – und vielleicht auch am schönsten – sind seine Kinderbilder. Murillo hat die Kinder so gemalt, wie er sie in den Straßen Sevillas vorfand. Er hat keine Kinder als Modell sitzen lassen, sondern so, wie er die Kinder malte, waren sie wirklich in ihrem Milieu.

Die Bilder, auf denen arme Straßenjungen und andere Menschen niedrigen sozialen Standes dargestellt sind, gehören zum Besten ihrer Art in der gesamten Kunst. Murillo malt so realistisch, dass den Eindruck hat, etwa auf unserem Bild können man die Fliegen mit der Hand fangen; man kann ihren Rüssel, sogar ihren Schatten sehen.
Man nennt die Kinder „Picaros“ also junge Schelmen, deren Leben sich als Hausknechte bei reichen Menschen abspielte. Oder es waren Lastenträger, die die Waren vom Hafen in die Stadt trugen. Es war wohl die Angewohnheit, sich selbst vom Überfluss zu bedienen, aber das akzeptiert Murillo völlig; er malt keine sozialkritischen Bilder, aber er nimmt den Knaben das Image der Kleinkriminellen. Er provoziert mit seinen Bildern beim Betrachter Sympathie für die kleinen Vagabunden. Er setz die Kinder nicht in ein lebensfeindlichen städtisches Milieu, wohin sie eigentlich gehören, sondern in eine Art Niemandsland. Die zerlumpten Kleider sind nicht nur Mitleid weckend, sondern die Kinder leben irgendwie in einer milden, freundlichen Welt. Der Widerspruch mag erlaubt sein: Sie leben zufrieden in einer ihnen insgesamt wohlwollenden Welt.

In einem Kommentar zu der Münchner Ausstellung fand ich folgendes Zitat: „Im Einklang mit der weitverbreiteten Auffassung, ein jeder solle mit seinem eigenen Schicksal zufrieden sein, stellt Murillo seine zerlumpten, sorglosen Straßenjungen als arm, aber glücklich dar, lebenshungrig und fähig, die Freuden des Augenblicks zu genießen, wie zum Beispiel das Glück des Essens. Murillos kleine Vagabunden haben nicht viel zum Auskommen, aber Nahrung ist ein hohes Gut. Es geht um Hunger und Essen, Nahrung wird verkauft, bewacht oder verzehrt, es wird um die gefeilscht, und auch die Hunde sind auf ihre Weise irgendwie daran beteiligt. Auch die außermenschliche Schöpfung ist also den Menschen seiner Bilder gar nicht fern!“

Arm, aber glücklich! Das ist die Aussage von Murillos Bildern.

Unser Bild also zeigt zwei zerlumpte Jungen, die die Backen mit Trauben und Melonen vollgestopft haben. Vor ihnen liegen ein abgenagter Traubenstiel und die Reste der Melonen. Offenbar wird hier ein spanisches Sprichwort illustriert, das übersetzt heißt: „In der Hand eines Jungen wird die Traube schnell zum Stiel.“ Man weiß nicht, woher die Knaben das Obst haben, von dem sie genüsslich essen; denn der Korb links ist noch lange nicht leer. Aber hier herrscht das Einvernehmen eines festlichen Mahls. Auch durch den Schleier der Armut wird etwas vom Glück der beiden spürbar. Arm, aber glücklich!

Ulrich Zurkuhlen (März 2004)