Das Geschenk  

Zugegeben: Das Bild sieht nicht sehr weihnachtlich aus; kein Weihnachtspapier, keine bunte Seidenschleife, kein Tannenzweig. Die Menschen haben ja zumeist eine bestimmte Vorstellung, wie ein Weihnachtsgeschenk auszusehen hat. Nein, sehr weihnachtlich ist dies Bild nicht.
Oder doch? Die entscheidende Aussage des Bildes ist: Geschenke müssen von herzen kommen, dann ist es vielleicht egal, wie das Geschenk verpackt ist. Aber auf das Herz kommt es an.
Zweifellos ist das Schenken einer der selbstverständlichen Weihnachtsbräuche; manche Leute stürzen sich dabei sogar in Schulden, weil sie aufwändige Weihnachtsgeschenke kaufen. Wenn ich in Münster durch die Fußgängerzonen gehe, fallen mir in diesem Wochen des Dezember Leute auf, die riesige Plastiktaschen mit sich schleppen; da war wohl wieder ein weihnachtlicher Großeinkauf dran. Manchmal frage ich mich, ob die Leute das alles auch bezahlen können. Ein Bänker hat mir vor einiger Zeit vom „Weihnachtskredit“ erzählt: Manche Leute nähmen vor Weihnachten einen Kredit auf und brauchen das ganze Jahr, den Kredit zurückzuzahlen. Aber ob das der Sinn des Schenkens sein kann?
Manchmal artet das weihnachtliche Schenken zu einem Warenaustausch aus: Große Geschenke werden ausgetauscht, und der Schenkende einerseits und der Schenkende andererseits hoffen, dass ihr Geschenk angemessen ist, also was Preis und Größe betrifft. Man schenkt, weil man weiß, dass man ein Geschenk bekommt. Und es wäre ja tatsächlich zum Rotwerden, wenn man beschenkt würde, aber selbst kein Geschenk für den Schenkenden hätte.
Manche Leute schenken, weil sie damit eine Schuld begleichen möchten. Vielleicht hat man einen anderen zutiefst beleidigt? Ein Geschenk kann, so meint man, Genugtuung sein. Aber es das dann wirklich ist?
Schenken kann auch ein Zeichen der Überlegenheit sein. Das gilt bisweilen für Sachen, die Eltern ihren Kindern schenken. Je größer das Geschenk, desto stärker das Zeichen der Überlegenheit. Das kann unter Erwachsenen natürlich sehr peinlich und manchmal auch demütigend sein. Denn es gibt bisweilen Geschenke, die so protzig sind, dass man den zu Beschenkenden zum Schuldner macht.
Geschenke sollen aber möglichst persönlich sein: Nicht der Wert der Ware ist wichtig, sondern das Bemühen, mit dem Geschenk wirklich eine Freude zu machen, vielleicht eine ganz unerwartete Freude. Deswegen erfordert richtiges Schenken viel Fingerspitzengefühl, damit das Geschenk das ist, was es eigentlich sein soll: ein Zeichen von Liebe und Sympathie.
Auf das Herz kommt es eben an. Und wenn das stimmt, ist die Größe des Geschenks, der Wert der Gabe, die Verpackung völlig unwichtig. Ein Geschenk, das von Herzen kommt, ist immer richtig.

Ulrich Zurkuhlen (Dezember 2003)